Erfolg und Versagen
Von Israel Adam Shamir
(Ein Interview, das dem Herausgeber der
griechischen Wochenzeitung Antifontis, Kostas Karaiskos,
gegeben wurde)
F: Herr Shamir, nachdem Sie so lange Jahre als
Schriftsteller und Journalist gearbeitet haben, überraschten
Sie eines Tages alle Leute durch Ihren wagemutigen, häretischen
Standpunkt. Was war wirklich passiert? Wie kommt es, dass ein
etablierter jüdischer Schriftsteller offen über Israels
Rassismus, das Recht der Palästinenser auf Widerstand und auf
Rückkehr in ihre Heimat, die amerikanischen Verbrechen im Irak,
spricht?
A: Es ist nicht merkwürdig, dass ich im
kritischen Augenblick an der Seite meines adoptierten Landes,
dem Heiligen Land, stand, dieser herrlichen und bezaubernden
Schwester von Hellas, das dem Peloponnes oder Kreta so ähnlich
ist, der lebende Tempel Gottes, denn es wurde vor unseren Augen
von den verrückten Truppen Sharons zerstört. Es ist seltsam,
dass ich bis vor kurzem ruhig geblieben bin. Aber der
Selbsterhaltungstrieb macht aus uns allen Feiglinge und
außerdem, der Mensch ist von Natur aus optimistisch. Solange das
Kind nicht schreit, schenken wir seinem Unwohlsein nicht viel
Aufmerksamkeit. Solange die einheimischen Palästinenser ruhig
waren, dachte man: „Nun, wahrscheinlich können sie klarkommen,
und das Land kann klarkommen.“
Aber die Intifada war ein Zeichen,
dass diese äußerst friedfertigen und geduldigen Menschen in
einen langsamen Tod getrieben werden, und mit ihnen geht
Palästina ein für alle Mal unter. Ich fühlte, dass jede Kugel,
die von der israelischen Armee abgefeuert wird, meine Brüder
tötet und jeder abgefackelte Olivenbaum, jedes geschleifte Haus,
jede abgerissene Kirche, das Gefüge unserer Existenz selbst
beschädigt. Es hat keinen Sinn zu leben, wenn unsere Erde
zerstört wird, und das ist überall der Fall. Nur Einwände oder
Kritik waren einfach nicht mehr ausreichend.
Wenn ich jünger wäre, würde ich mich
vielleicht den Kämpfern von Jenin anschließen um dem Angriff der
gepanzerten Monster standzuhalten. Aber Schreiben ist auch eine
Form der Kriegführung. Ein Schriftsteller kann es einem Kämpfer
gleichtun, indem er Todesgefahr außer Acht läßt und sein Ziel
über die Selbsterhaltung stellt. Später entdeckte ich, dass
dieser Krieg der Worte nicht nur für Palästina gut ist, sondern
auch für meine Seele. So wurde der Kampf für Palästina zu einem
spirituellen Anliegen für mich und für viele andere.
F: Ihre These in Bezug auf den
israelisch-palästinensischen Konflikt ist, dass er nur durch die
Errichtung eines vereinten Staates beendet werden kann mit
Gleichberechtigung für alle seine Bürger. Glauben Sie, dass dies
realistischer ist, als das Zwei-Staaten-Modell? Was könnten die
Schritte sein, hin zu der Lösung, die Sie vorschlagen?
A: Aus Ihrer Frage schließend, gibt es also ein
getrenntes Israel und Palästina, während Shamir sie gerne
vereinigen möchte. Dies ist jedoch nicht der Fall. Wir haben
„einen Staat“ und hatten ihn praktisch immer. Palästina war für
sehr kurze Zeit aufgeteilt, von 1948 bis 1967, aber vor und nach
dieser Unterbrechung leben wir - die unterschiedlichen
Gemeinschaften Palästinas – zusammen in einem schönen Land
zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer. Es kann nicht geteilt
werden, da es zu klein ist, und die Leute leben in Bezirken nah
miteinander. Darüber hinaus: ohne Palästinenser stirbt
Palästina.
Wie Zypern vor 1947 sind wir noch
ein Land, und die Idee der Teilung Palästinas ist so falsch, wie
die Teilung Zyperns. Jetzt, wo die Gemeinschaften Zyperns
versuchen, sich zu versöhnen, sollten wir nicht die Teilung
Palästinas fördern. Wir müssen aus den Fehlern anderer lernen:
die Teilung Zyperns brachte den Zyprioten keinen Segen, und wir
sollten es hier auch nicht versuchen. Die gewaltige Tragödie der
griechisch-türkischen Teilung und der Abtretungen ist ein
lebender Beweis, dass es der falsche Weg war, das Problem zu
lösen.
Wenn immer ich am östlichen
Mittelmeer reise, bedauere ich es zutiefst, dass es keine
Griechen in Smyrna und keine Türken in Thessaloniki gibt. In
Konstantinopel, erinnern die Hagia Sophia und die Hagia Irini
noch an ihre orthodoxe Vergangenheit und die Moscheen in Rhodos
beweinen ihren Ruhm. Diese Tragödie ist noch lebendig, denn die
Griechen waren ein wichtiges und führendes Element im
osmanischen Reich, diesem Nachfolger von Byzanz. Die Türken
waren Soldaten und Hirten, die Griechen repräsentierten Staat
und Handel. Es gibt eine Münze, die 1455 in Konstantinopel
geprägt wurde; ihre eine Seite trägt die Beschriftung „Mehmet,
Sultan der Gläubigen“ auf arabisch, und die Rückseite ist auf
griechisch beschriftet, „Mehmet, der Kaiser der Orthodoxen“. Das
osmanische Reich war wie diese Münze und unter türkischen
Kriegern und griechischen Ministern bewahrte es Frieden und
Wohlstand des Mittelmeerlandes. Der Westen beneidete es um seine
Erfolge und unterminierte es.
Von der Plünderung Konstantinopels
1204 an bis Smyrna 1921 versuchte der imperialistische Westen
unser schönes östliches Mittelmeerland aufzuspalten und
schließlich taten sie es. Aus der griechisch-türkischen Spaltung
ging Mustafa Atatürk hervor und seine Politik brach (eine Zeit
lang) den Geist der Türken, verwandelte sie in ein
amerikanisches Werkzeug, verbot ihnen, Gott anzubeten und sogar,
nationale Tracht zu tragen. Griechenland wurde von den
britischen Truppen viele Jahre lang unterworfen. Die Griechen
waren die wahre Macht des Reiches, während sie als unabhängiger
Staat westliche Touristen bedienen.
Im Rückblick versteht man, dass die
Teilung des Reiches ein kostspieliger Fehler war, für den wir
noch immer bezahlen. Die Teilung Zyperns, die Teilung Irlands,
die Teilung Indiens – so viele Teilungen wurden vom
imperialistischen Westen gefördert und alle führten sie zu
Verlusten. Es ist genug. Meiner Ansicht nach, sollte die Teilung
Palästinas vermieden werden, indem man sich um die wahren
Probleme kümmert und indem Gleichstellung gefördert wird,
Demokratie und die Liebe für unser Land und seinen Geist.
Vielleicht wird die Nicht-Teilung Palästinas der Wendepunkt für
die Menschheit werden.
F: Wladimir Gusinski, der russische Medienbaron,
wurde in Athen verhaftet und soll nach Russland ausgeliefert
werden. Andere unglaublich reiche Mitglieder der jüdischen
Gemeinde werden auch verfolgt (Beresowski, Chodorkowski) andere
aber haben weiterhin gute Beziehungen zu Putin und den Behörden
(Abramowitsch, Tschubais). Sie sind in Russland geboren und Sie
haben in Russland gearbeitet, Sie kennen das Land und seine
Kultur. Wie erklären Sie die uneingeschränkte Macht, die in
jüdischen Händen nach 1989 konzentriert wurde? Glauben Sie, dass
Putin versucht, ihrer Macht Grenzen zu setzen oder ordnet er nur
die Szene neu?
A: Der Aufstieg der Juden im postsowjetischen
Russland ist eines der verwirrendsten Phänomene. Sechs von
sieben der reichsten Russen sind Juden und sie sind
einflussreich in den Medien, Banken und in der Kontrolle über
Bodenschätze. Es ist nicht leicht zu erklären, wie ein jüdischer
Buchhalter von Taschkent, Tschernoi, mit einem monatlichen
Gehalt von einhundert Rubeln, der Besitzer der russischen
Aluminiumindustrie wurde.
Eine Erklärung liegt auf der
religiösen Ebene. Die orthodoxen Christen schämen sich, reich zu
sein. Sie erinnern sich an den Größenvergleich einer Nadel und
eines Kamels. Sie verstehen, dass Reichtümer selten zu ehrlichen
Leuten kommen. Sie schämen sie für Macht, weil sie gesagt
bekamen: die letzten werden die ersten sein. Diese Eigenschaft
der orthodoxen Christlichkeit wurde teilweise vom Kommunismus
geerbt und daher war der Kommunismus in Russland erfolgreich.
(Er wäre auch in Griechenland erfolgreich gewesen, aber England
zermalmte die Kommunisten im Nachkriegs-Griechenland).
Die nicht umgeformten Juden und die
Calvinisten haben solche Befürchtungen nicht. Sie streben nach
Macht, weil das alte Testament sagt, „sei deinen Brüdern ein
Herr und sie werden sich vor dir beugen“. Sie glauben, dass
Wohlstand ein Zeichen dafür ist, gesegnet zu sein. Deshalb sind
sie bereit, alles an sich zu reißen, was es gibt. Mit weniger
religiösen Worten werde ich Viktor Pelewin zitieren, ein
moderner russischer Schriftsteller:
„In Umsturzzeiten kommt ein
skrupelloser und gerissener Mensch besser klar, als ein
ehrlicher, weil er sich den Wechseln schnell anpasst. Auf einem
gewissen Niveau der Unehrlichkeit und Schläue sieht der Mann die
aufkommenden Veränderungen sogar im Voraus; und so passt er sich
noch schneller an. Die schlimmsten Gauner passen sich an diese
Veränderungen an, bevor diese noch wirklich geschehen. Die
schlimmsten Ganoven sind der Motor der Veränderung, weil sie die
Zukunft nicht vorhersehen, sondern sie machen. Diese
skrupellosen, schamlosen, penetranten Gauner überzeugen den
Rest, dass ihre Vorhersage korrekt ist, und so passiert der
Wechsel“.
Mit anderen Worten ist der „Erfolg“
einer Gruppe auf Kosten von anderen ein Zeichen für ihren Mangel
an Skrupeln. Aber auf eine mehr pragmatische Art verdanken die
russischen Juden ihren Erfolg ihren engen Beziehungen zu den
amerikanischen Juden. Als die US-Juden begannen, bei dem großen
Spiel mitzumachen, die Überreste von Russland aufzuteilen,
brauchten sie örtliche Verbündete und die russischen Juden
standen für diese Rolle zur Verfügung. So ist diese Prominenz
der russischen Juden noch schlimmer, als sie scheint, denn die
prominenten sind extrem pro-amerikanisch und pro-kapitalistisch.
Sie unterstützen die westliche Vorherrschaft, bekämpfen die
russisch-orthodoxe Kirche und fördern die „Modernität“, diese
giftige Mischung aus CNN, MTV
und dem IMF.
Sie genießen die Unterstützung der
wichtigen amerikanischen Juden. Chodorkowski wird verteidigt
durch solch verschiedene und gegenseitig feindlich eingestellte
jüdische Spieler wie Richard Perle und George Soros.
Die New York Times (23.
Juli 2003) berichtete aus Moskau: “Als Richard
Perle, der politische Berater aus Washington mit
Schlüsselstellung, sich diese Woche für ein Treffen mit
führenden russischen Politikanalytikern zusammensetzte, hatte er
ungefragt ein Wort des Rates: Lasst Yukos Oil Co. in Ruhe, den
russischen Energiegiganten, der in einer Kraftprobe mit
kriminellen Verfolgern eingesperrt ist.“ (Yukos ist
Chodorkowski). Charles Grant, ein Soros-Mann, schrieb: „Heute
ist Chodorkowski, in reinen Nützlichkeitsbegriffen, eine Kraft
für das Gute in Russland. Er unterstützt direkt und indirekt
eine Reihe von Organisationen und Individuen, die versuchen, den
Standard des russischen Kapitalismus, der Zivilgesellschaft und
der Demokratie anzuheben. Er möchte Russland westlicher machen,
was meiner Ansicht nach genau das ist, was es braucht“.
Als sich Putin gegen Gusinski
wandte, rief Sulzbergers New York Times dazu auf, „die Freiheit
der unabhängigen Presse zu verteidigen“, ein anderes Codewort
für in-jüdischem-Besitz-befindlich, da die NY Times nicht
Sawtra und andere oppositionelle Medien verteidigte.
Aber gewöhnliche Juden oder Russen
jüdischer Herkunft – und es gibt Millionen solcher Menschen –
sind etwas anderes. Ich begegne ihnen, Musiklehrern,
Journalisten, Ökonomen; sie sind normale Menschen und sie weisen
die Neue Weltordnung zurück und bedauern den Fall der
Sowjetunion. Auch Oligarchen sind nur Menschen: Beresowski wurde
in die russisch-orthodoxe Kirche aufgenommen, heiratete eine
russische Frau, unterstützt die nationale Opposition und, wer
weiß? Vielleicht hat er sich geändert. Der manichäische
Ansatz sollte zurückgewiesen werden – die Wirklichkeit ist
komplizierter als jedes Schema.
Übersetzung: Friederike Beck
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