Eine Insel des Glaubens
Israel Shamir
Ich schreibe auf einem Balkon, überblicke das azurblaue Meer und
eine frische, rote Rose leistet mir zusammen mit ein paar Katzen
Gesellschaft. Der Berg Athos, diese grün bewaldete Halbinsel,
die ins ägäische Meer hinausragt, eine unabhängige christliche
Republik unter griechischem Protektorat, Heimstätte von zwanzig
grossen Klöstern, ist ein stilles Paradies. Der Platz, wo
Hunderte von Mönchen und Tausende von weltlichen Pilgern zu Gott
beten, das Land bebauen, schwere Oliven und rote Äpfel anbauen.
Das esoterische Orthodoxe Christentum ist ein gut gehütetes
Geheimnis Griechenlands – die Leute wissen von Zorba, den
Griechen und von sonnigen Inseln, doch wenn sie davon wüssten,
würden sie auf ihrer spirituellen Suche hierher kommen, nicht zu
Sufis oder Zen Buddhisten; denn abgesehen von seiner Schönheit
ist dieser Glaube dem westlichen Menschen leichter zugänglich.
Die Mönche sind gelehrte Männer, einige stammen aus Australien
und Russland, Frankreich oder Palästina. Der
Abt Vasileios
studierte in Lyon, er schätzt
Pindar
und
Dostojewski.
Dies ist ein guter Platz, um ein unbekanntes Opfer des
Irakkrieges zu erkennen: das Christentum. Sein Ruf wird besudelt
von Menschen, die den Namen Christi im Munde führen – und auch
vom Fundamentalismus – vergeblich. Von der
New York Times
bis zum
FrontPage Magazin
stellen verschiedene jüdäische Publikationen ein Sprachrohr für
anti-muslimische Tiraden bereit, für den Ruf nach Krieg im Namen
des Kampfes der Zivilisationen. Als Ergebnis davon begannen
einige Muslime mit Gegen-Attacken gegen das Christentum zu
antworten, und die europäische und amerikanische Jugend lernt zu
denken, dass ihr Glaube eine Gefahr für die Menschheit ist.
Dieses Opfer ist jedoch unschuldig: wahres orthodoxes
Christentum, so fundamentalistisch wie es sein kann, lehnt den
Glauben an Mammon und den Krieg der USA gegen den Islam strikt
ab.
Ein Fundamentalist ist jemand, der den traditionellen Lehren der
Kirche folgt. Die Heiligen Texte haben ausserhalb der Tradition
keinen Sinn. Die Gegner versuchen, sich auf die Texte zu
beziehen, indem sie sie aus ihren Traditionen herauslösen; aber
die Tradition ist lebendig und kann nicht in ein Gemisch von
Bestandteilen zerlegt werden, die aus dem Zusamenhang gerissen
und willkürlich verwendet werden. Die Elemente können nur im
Kontext verstanden werden, indem sie durch die Kirchentradition
in ihren vollständigen Zusammenhang gestellt werden.
Es gibt keine strikteren Fundamentalisten als die
Mönchsgemeinschaft auf dem Berg Athos in Nordgriechenland, wo
ich diese Zeilen schreibe. Athos ist ein grosses Reservoir des
Geistes und viele Menschen kommen, um an diesen Wassern
teilzuhaben.
(Charles, der Prinz von Wales, ist auch in einem Kloster
zugegen.)
Die Mönche hüten das Feuer des christlichen Glaubens, so wie es
von Christus und den Aposteln entfacht wurde. Sie erwarten ihre
Errettung nicht von den Juden, weil sie bereits gekommen ist in
der Person von Christus. Sie fühlen kein Bedürfnis nach einem
Bruch, weil ihnen ein eigener Plan gegeben wurde: Zu versuchen,
mit Mitteln des Gebetes und spiritueller Erleuchtung das Zweite
Kommen herbeizuführen. Für sie ist die Zweite Ankunft die
mystische Erfahrung, Christus in seiner Herrlichkeit zu sehen,
und sie ist mit Hilfe der Göttlichen Gnade erreichbar. Die
Kirche ist eine Einrichtung für die Gläubigen, die hilft, IHN zu
sehen. Sie beschützt auch die Gläubigen auch vor Irreführung
durch schlaue Spitzfindigkeiten und Listen.
Die Wurzeln der Griechischen Kirche reichen über die erste
Mission des
Heiligen Paulus
hinaus hin nach Athen, weil dieser die religiöse Hingabe der
Hellenen anerkannte. Diese mussten nicht zum rechten Glauben
geführt, sondern erleuchtet werden.
Simone Weil
schrieb über hellenische Ahnungen von Christus, die so deutlich
in der
Ilias
aufscheinen. Ihrer Ansicht nach waren die Griechen christlich
vor Christus und ihr Einfluss auf das Christentum war
überragend. Bis heute sind die Griechen Christus treu ergeben,
Seiner Mutter und ihrer eigenen Mutterkirche, der alten
Orthodoxen Kirche, gegründet von den Heiligen
Johannes
und
Paulus.
Ihre Kirche enthält sich der Politik, übt aber einen moralischen
Einfluss aus. Geführt von seiner Kirche, nimmt Griechenland
nicht am Irakkrieg teil, seine Söhne sterben nicht auf den
Strassen Bagdads. Und diese überaus religiöse und überaus
christliche Nation teilt die Ansicht der guten Muslime und auch
unsere, dass die Welt, miteinbezogen Griechenland, bedroht ist –
nicht durch den islamischen Terrorismus, sondern durch den
US-amerikanischen Kampf gegen den Terrorismus. Griechenland ist
ein seltener Platz, wo sich ein westlicher Dissident spirituell
zuhause fühlt, weil der Grieche auf der Strasse die Gedanken
denkt, die nur wenigen europäischen Intellektuellen bekannt
sind, Lesern von Chomsky und Baudrillard. Ihr unglaublich
populärer Erzbischof
Christodoulos
bemerkte korrekt, dass der Terrorismus verursacht wird durch «die
Ungerechtigkeit und Ungleichheit, die die Welt überzieht.»
Im
Wall Street Journal
klagt der griechische Zionist
Takis Michas
in einem Stück mit dem Titel
«Ist Griechenland eine westliche Nation?»
dass nur 10% der Griechen denken, ihr Land sollte die USA in
ihrem Kampf gegen Staaten, die
«den Terrorismus beherbergen»,
militärisch unterstützen. Die Mehrheit der Griechen denke, dass
Osama Bin Laden eine Erfindung der CIA-Propaganda sei. Der
Zionist schliesst mit Entsetzen:
«Solche Ansichten haben mehr gemeinsam mit der öffentlichen
Meinung in Kairo oder Damaskus, als in Berlin oder Rom.»
Soviel zum dummen Konzept des Konfliktes zwischen dem
Christentum und dem Islam, welches von diesen Beschützern des
christlichen Glaubens im
Wall Street Journal
und in der
New York Times
befördert wird!
Im Gegensatz zum Westen kannten die Griechen weder Hass noch
Furcht vor den Juden. Sie retteten viele ihrer Juden während der
deutschen Besatzung und sie behandelten sie fair. Weil sie ihre
eigene nationale Kirche hatten, übergaben sie ihre spirituellen
Werte nicht den Juden zur Verwahrung und hatten so keinen Grund,
deren Verlust zu beklagen. Wo es keine Schuld gibt, gibt es auch
keine Furcht. Der bekannte griechische Komponist
Mikis Theodorakis
wurde von seinem israelischen Interviewer sarkastisch gefragt,
ob nach seiner Ansicht die Juden bei Bush von hinten die
Strippen ziehen. Er antwortete forsch:
«Nein, sie sind vorne!» «Amerika, die grosse Supermacht wird
also heute wirklich von den Juden kontrolliert?»,
fragte der Inquisitor, bevor er seinen Urteilsspruch
verkündete.
«Ja»,
sagte Mikis, der Mann, der mehr jüdische Freunde hat als ein
durchschnittlicher Amerikaner.
Wo keine Furcht vor den Juden ist, da ist auch keine
automatische Unterstützung für die USA und Theodorakis‘ Sicht,
«dass die Wurzel des Übels eher in der Politik von Präsident
Bush liegt als in der muslimischen Welt»,
wird von vielen Griechen geteilt. Die Griechen kennen die
Muslime, nicht aus Büchern – sie lebten mit ihnen für
Jahrtausende auf engem Raum zusammen. Sie sind sich bewusst,
dass ihre lange und schwierige Beziehung zu den türkischen
Nachbarn ihren Tiefpunkt unter der anti-islamischen
Regierungszeit von
Mustafa Kemal Attatürk
erreichte, dass der islamische Sultan
Selim der Grimmige
dagegen ein Vermögen ausgab für die Restauration der Klöster auf
Athos. Muslimische Gemeinschaften sind in Griechenland gut
integriert, weil die nationale Kirche ziemlich tolerant ist
gegenüber religiösen Minderheiten wie auch gegenüber dem grossen
nicht-religiösen Bevölkerungsteil.
Jetzt sind die griechische Linke und die griechische Rechte
vereinigt in der Zurückweisung des judäo-amerikanischen Drangs,
den Osten zu erobern, Multikulturalismus durchzusetzen und
Kirche und Staat zu trennen. Sie unterstützen die Palästinenser
und wünschen den Juden, dass sie zur Vernunft kommen. Sie sind
ein gutes Beispiel für die US-Fundamentalisten. Tatsächlich,
Griechenland ist der Beweis, dass fundamentalistisches
Christentum nicht jenes von George Bush ist und dass die
Alternative zu ihm nicht monopolisiert wird von der
Ersten Lesbischen Synagoge
in New York.
In seinem «Gedankenpolizei-Bericht» in der
New York Times
beschreibt Takis Michas die Sünden der Griechen:
«In den 80er Jahren gewährten sie Organisationen Unterschlupf,
die im Westen als Terroristen betrachtet wurden, sie
widersetzten sich der von der Reagan-Administration betriebenen
Stationierung von Cruise-Missiles und Pershing-Raketen in
Europa. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa
übernahm die politische Rechte Griechenlands die
anti-amerikanische Sichtweise. Die amerikanische Politik in
Bosnien und im Kosovo wurde weitgehend als ein Versuch zur
Zerstörung der Orthodoxen Kirche aufgefasst und der Putsch gegen
Slobodan Milosevic – auf der ganzen Welt gefeiert – wurde als
eine CIA-Komplott gesehen.»
Takis Michas Artikel über die Griechen erschien kurz nach dem
viel erwarteten Buch von Diana Johnstone
«Kreuzzug der Dummköpfe: Jugoslawien, NATO und westliche
Verblendung»1,
welches aufräumt mit den frisierten
«Beweisen»
von serbischen Gräueln im Kosovo. Heute wissen wir, dass die
Welt keinen Grund hatte, die Absetzung von Milosevic – oder
sogar – von Saddam Hussein zu feiern. Aber die Griechen
verstanden dies früher, als es die Ansicht von nur einer
kleinen, aufgeklärten Minderheit im Westen war. Wie kommt es,
dass die Griechen besser waren als die westlichen
Intellektuellen im Erkennen dieser Medienlügen als das, was sie
waren?
Der Grund, in meiner Sicht, ist der traditionelle Charakter der
Griechisch Orthodoxen Kirche und ihrer Verbindung zum Volk und
seinem Staat. Die Trennung von Kirche und Staat, diese viel
gepriesene Leistung der französischen Revolution und sogar mehr
noch der amerikanischen Gründerväter, löste die Verankerung der
westlichen Gesellschaften und diese drifteten folglich
geradewegs gegen die Felsen. Während in Frankreich die nationale
Katholische Kirche immer noch einen wichtigen und exklusiven
Platz innehat, wurden die USA – ein Land ohne Staatskirche – zu
einem Opfer und Diener Mammons. Die kleinen, unabhängigen
Kirchen der USA hatten keine Möglichkeit, die Geisteshaltung der
Nation zu gestalten, sie konkurrierten gegeneinander um ihre
Präsenz in den Medien, die im jüdischen Besitz sind; sie wurden
immer wieder von den Steuerbehörden bedroht, sie brachen mit den
Traditionen und wurden zur Beute der Wölfe.
Diese Abwesenheit einer Kirche untergräbt ferner das von T. S.
Eliot in seinem Buch
«Die Idee einer christlichen Gesellschaft»
(1939) erarbeitete grundlegende Konzept der
Einheit-in-Gott.
Menschen leben zusammen vereinigt durch eine Idee: diese Idee
kann (oder sollte in der Tat) ihre gemeinsame Anbetung und die
vereinigende Kommunion sein. Diese Notwendigkeit einer
nationalen Kirche, die ihr Volk in einer einzigen Kommunion
einigt, wurde in Eliots Entscheidung bekräftigt, in der
nationalen anglikanischen Kirche zu verbleiben, obwohl er dem
katholischen Dogma anhing. Im palästinensischen Kontext würde
Eliot einen «islamischen Staat» einem weltlichen vorziehen.
Die USA waren ein erstes grossangelegtes Experiment: Was
passiert einer Gesellschaft, die auf dem Streben nach Profit
aufgebaut ist anstatt auf dem Felsen des Glaubens. Die
Gründerväter hätten die Geschichte des weisen
Mencius
(372-280 v. Chr.) lesen sollen.
Mencius trat vor den König Hui van Liang. Der sagte: Alter Mann,
da du, 1000 Meilen nicht für weit erachtent hast, um
hierhergekommen, wirst du wohl auch einen Weg wissen, meinem
Staat einen Gewinn zu bringen?» Mencius erwiderte: «Warum, o
König, musst du überhaupt das Wort ‹Gewinn› in den Mund nehmen?
Was zählt, ist doch Güte und Rechtlichkeit. Denn wenn der König
fragt‚ ‹Wie kann ich Gewinn aus meinem Land ziehen?›, so werden
die Grosswürdenträger fragen: ‹Wie können wir Gewinn aus unseren
Lehen ziehen?› und die Bürgerlichen werden fragen: ‹Wie können
wir uns bereichern?› Wenn die oberen und unteren Klassen danach
trachten, sich gegenseitig den Gewinn streitig machen, wird der
Staat in Gefahr gebracht.»
In der Tat, dies war es, was in den USA geschah, und unter ihrem
Einfluss geschieht es zusehends auch anderswo. Wenn auch die
Konstrukte des Nationalismus und des Sozialismus weit davon
entfernt waren, perfekt zu sein, so boten sie doch einen
gewissen Schein von Solidarität, der von den Profitjägern
abgelehnt wird. Aber Griechenland überzeugte mich: keiner der
beiden konnte das Konzept der nationalen Kirche verbessern, die
ganz national und ganz integriert ist in den Ring der Kirchen.
Übersetzung: Friederike Beck/Klaus Fischer
1) Diana Johnstone: Fools‘ Crusade. Yugoslavia, NATO and Western
Delusions. New York 2002. ISBN 1-58367-084-X.
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