Zwischen Sieg und Niederlage
Von Israel Shamir
Wir treten in eine entscheidende Periode ein,
eine Weggabelung von Schicksalen, wenn unsere Handlungen oder
Nicht-Handlungen sehr wahrscheinlich unsere und unserer Kinder
Zukunft viele Jahre lang bestimmen werden. Das heftigste Kämpfen
im Libanon stellt sich nun heraus als eine kleine
Widerstandstruppe – 2000 Kämpfer am Anfang des Krieges und
wahrscheinlich jetzt wesentlich weniger – die standhält gegen
den Ansturm einer umfassend ausgerüsteten Armee, die trotz der
Waffenstillstandsresolution angreift. Wenn sie überleben,
gewinnen sie.
Die von den USA entworfene und von Israel
angenommene Resolution des Sicherheitsrats ist zutiefst unfair:
die UN-Truppen werden stationiert werden – nicht in Galiläa, um
den schwachen Libanon vor jüdischer Wut zu bewahren, sondern im
Südlibanon, um den starken Nachbarn zu schützen. Der
Verteidiger, nicht der Aggressor wird entwaffnet werden. Dies
ist unfair aber noch nicht unfair genug für die Juden: in dem
Moment als die Resolution angenommen wurde, drängte die
israelische Armee nach vorn, um noch vor Inkrafttreten des
offiziellen Waffenstillstands so viel als möglich Land
mitzunehmen. Dies war ein fauler Trick, der dem Geist der
UN-Resolution zuwiderlief aber in ihren Worten: „Es ist koscher,
stinkt jedoch“, sagen die Juden über solche Unehrlichkeit.
Die Entscheidung der israelischen Regierung war
wirklich Orwellsch wenn nicht schizophren: dem Waffenstillstand
zustimmen UND mit der Eroberung des Südlibanon mit höchster
Geschwindigkeit fortfahren. In einer Klarstellung, die von einem
Offizier des israelischen Nordkommandos gegeben wurde, versucht
Israel, den Südlibanon zu umschließen und dort auch NACH dem
Waffenstillstand weiterzukämpfen, was „Säuberung von
Terroristen“ genannt wird. Sayed Nasrallah, der Führer der
Hisbollah, gelobte ebenfalls den Eindringling am Boden zu
bekämpfen und akzeptierte gleichzeitig den Waffenstillstand.
So gibt es kaum eine Chance, dass die
israelische Invasion des Libanons und die daraus entstehenden
Kämpfe bald vorbei sein werden. Heute bombardierte Israel die
letzte Straße, die den Libanon mit seinem Nachbarn Syrien
verbindet und die libanesische Zivilbevölkerung verlor ihre
letzte Möglichkeit, zu fliehen. Dieser Schritt kombiniert mit
einer massierten Luftlandung am Litani-Fluss soll den Nachschub
der kampfbereiten libanesischen Kämpfer abschneiden während die
israelischen Truppen konstant von Washington mit Nachschub
nachbeliefert wird. Die US-Teilnahme am Krieg ist nicht auf
volle diplomatische Unterstützung Israels und militärischen
Nachschub beschränkt. Das Pentagon bewegte seinen
Spionagesatelliten von seiner Position über Bagdad weg zu den
Himmeln über dem Libanon und brachte dabei seine eigenen Truppen
im Irak in Gefahr, eine Veränderung, die eine massive
Verschiebung von US-Soldaten nach Bagdad notwendig machte.
Darüber hinaus riefen amerikanisch-jüdische Freunde Israels in
Washington die israelische Regierung dazu auf, zu kämpfen
und zu gewinnen, da ein nicht-siegreiches Israel für das
Imperium von keinerlei Nutzen ist. Der Kolumnist der „Washington
Post“, Charles Krauthammer, schrieb Anfang dieser Woche: „
[Olmerts] Bemühungen für den Sieg auf die billige Tour hat nicht
nur die Libanon-Operation aus Spiel gesetzt, sondern auch
Amerikas Vertrauen in Israel.“ Max Boot ein „Council on Foreign
Relations“-Mann, schrieb in der “Los Angeles Times”: “Syrien ist
schwach und liegt um die Ecke. Um seine Grenzen zu sichern, muss
Israel das [Präsident Bashar] Assad-Regime packen.“
Amerikanische Juden fordern Krieg und Sieg. „Die amerikanischen
Juden sind ein roter Staat“ [angesichts der jüdischen Kriege],
sagte der einst liberale Herausgeber von „Tikkun“.
Die kriegsähnlichen Schreie aus dem Quartier der
JINSA*
sind verbunden mit dem ersten jüdisch-amerikanischen Verlust des
Konflikts: Joseph Lieberman, ein führender Kriegsbefürworter der
Demokraten, wurde in den Vorwahlen von Conneticut geschlagen.
Die seismische Welle, die von seiner Niederlage ausging,
bedrohte die zwei Parteien vertretende Unterstützungsbasis
Israels im Kongress. Präsident Bush hatte seine Unterstützung
des ehemaligen Demokraten ausgedrückt, der sich Israel und dem
Krieg im Mittleren Osten völlig verschrieben hatte. Die
kriegbefürwortenden Kräfte in den USA erkannten die Gefahr und
intensivierten ihre Anstrengungen, den Krieg in der gesamten
Region zu verbreiten.
Diese Kräfte haben viele Verbündete in Israel,
dessen Führerschaft über seiner militärischen Niederlage brütet,
was doch eine kurze, brillante Kampagne hätte sein sollen und
nach einem Sündenbock Ausschau hält. Die Generäle beschuldigen
die Regierung, die ihnen die volle Aktionsfreiheit vorenthalten
habe und murmeln etwas von einem Staatsstreich; Minister
beschuldigen die Armee; Geheimdienst-Offiziere behaupten in
wenig glaubhafter Weise, sie hätten gewusst, dass es passieren
würde. Premierminister Olmert muss gehen, forderte Ari Shavit,
ein führender Kolumnist von „Haaretz“, in einen wiedergeborenen
Neofaschisten verwandelt, der den israelischen Liberalismus für
die Niederlage verantwortlich machte; gleichzeitig rief eine
Anzeige beim Impressum der liberalen Tageszeitung „Haaretz“ aus:
„Ehud [Olmert] und Amir [Peretz], bitte macht den Iran mit Atom
alle!“
Diese Forderung mag noch erfüllt werden, obwohl
der Blitzkrieg im Libanon nicht so richtig funktioniert hat. Die
Raketen der Hisbollah stellten für Israel eine Gegendrohung dar,
die aktiviert werden würde im Falle eines
israelisch-amerikanischen Angriffs auf den Iran und Syrien.
Jetzt, da die Bedrohung durch Raketen gebannt
ist und nach einer guten Pause und einer Wiederbewaffnung
könnten die Israelis versuchen, mir ihren Plänen Damaskus und
Teheran zu verdreschen, fortzufahren. Aus diesem Grunde heraus
hatten sie dem Waffenstillstand zugestimmte.
Waffenstillstand ist eine Geheimwaffe Israels.
Wann immer die israelische Armee einen Rückschlag erleidet,
rollen die Juden die Geheimwaffe herein und gewinnen eine
Auszeit und eine Gelegenheit, das Feuer wieder anzufangen, wann
immer es nach der Neubewaffnung und der Ruhepause nützlich ist.
Zum ersten Mal wurde der Waffenstillstand 1948 benutzt als die
UNO ihn zweimal verkündet hatte, verbunden mit einem
Waffenembargo. Beide Male nutzte es der entstehende jüdische
Staat voll aus: Waffenlieferungen an die Palästinenser war unter
Embargo, die Juden dagegen erhielten frische Lieferungen an
Waffen von der scheinbar stalinistischen aber vorwiegend
jüdischen Regierung in Prag. Wiederbewaffnet und aufgefrischt
erneuerten die Juden als sie fertig waren ihre Offensive und
zerschlugen den palästinensischen Widerstand. Die Waffenruhe
wurde 1973 aufgehobenen als es den jüdischen Staat vor einer
drohenden Niederlage rettete, der US-Regierung unter der Führung
von Kissinger ermöglichte, die Israelis wiederzubewaffnen und
ihnen erlaubte, den Waffenstillstand wann immer nötig zu
brechen.
Die Rückweichstrategie des Waffenstillstands war
den israelischen Kriegsplänen vom ersten Moment des II. Krieges
im Libanon an eingebaut. Die Juden bombardierten die
Zivilbevölkerung im Libanon. Obwohl das Massaker von Kana das
berüchtigtste ist, gibt es Dutzende von Kanas, genau wie das
Deir-Yassin-Massaker 1949 nur das berüchtigtste unter vielen
anderen war. Die israelische Zivilbevölkerung litt ebenso und
die Palästinenser von Galiläa („Israelische Araber“) litten am
meisten, da die israelische Artillerie den Libanon von ihren
schutzlosen Dörfern aus beschoss, Gegenfeuer erwartend und
verursachend, sehr zur Freude jüdischer Nationalisten.
Als das Weltgewissen ein Ende des Schlachtens
Unschuldiger forderte, präsentierte Israel über seine verbündete
Supermacht, die USA, ein Ultimatum, nämlich: wenn ihr wollt,
dass wir das Töten beenden, bitte, macht die Arbeit für uns,
entwaffnet den Widerstand, macht ein Embargo gegen ihre
Waffenlieferungen, rekolonialisiert den Libanon so dass uns,
wenn wir den Krieg fortsetzen, der Libanon wie eine reife Frucht
in die Hände fallen wird.
Nur die Standfestigkeit und der Mut der
Hisbollah-Kämpfer bewegte die Franzosen, den
israelisch-amerikanischen Entwurf ein wenig zu verbessern;
obwohl er so großzügig blieb wie Shylocks Darlehensbedingungen.
Der Sicherheitsrat erinnerte mich an den Schiedsrichter in einer
Kurzgeschichte von Jack London, „The Mexican“.
Die Hauptperson, ein geschmeidiger mexikanischer
Junge, Rivera, wird gegen einen großen Schwergewichtsboxer,
Danny, kämpfen, einen Tyson seiner Zeit. Für den großen Preis
muss er Gewehre für die Revolution kaufen. Zuerst greift Danny
an: „Es war kein Kampf. Es war ein Schlachten, ein Massaker.
Danny zeigte tatsächlich, was er tun konnte – eine großartige
Vorführung. So sehr war sich das Publikum sicher, dass es nicht
mitbekam, dass der Mexikaner auf den Füßen blieb. Es vergaß
Rivera. Es sah ihn kaum, so dicht war er verwickelt in Dannys
menschenfressende Attacke. Dann passierte etwas Erstaunliches.
Rivera stand alleine. Danny, der gewaltige Danny, lag auf seinem
Rücken. Der Schiedsrichter kreiste dazwischen und Rivera
erkannte, dass die Sekunden, die er zählte, sehr langsam waren.
Alle Gringos waren gegen ihn, sogar der Schiedsrichter. Bei
‚neun’ gab der Schiedsrichter Rivera einen scharfen Stoß
rückwärts. Es war unfair aber ermöglichte Danny, sich zu
erheben.“ Und bei jeder Gelegenheit „arbeitete der
Schiedsrichter indem er ihn wegzog, so dass er getroffen werden
konnte und gab Danny jede Chance, die ein unfairer
Schiedsrichter geben konnte“, fährt Jack London fort. Jedoch,
trotz dieses Vorteils wurde Tyson geschlagen. Die
Standfestigkeit und Opferbereitschaft des schlanken Mexikaners
erlaubte es ihm, den Gegner zu schlagen, bevor der
Schiedsrichter und die Polizisten seinen Sieg stehlen konnten.
Die Libanesen und die Palästinenser können noch
den Sieg erringen trotz der nackten Gewalt Israels und Amerikas.
In der Realpolitik müssen wir jedoch nicht auf Sieg drängen, wir
könnten mit einem modus vivendi zufrieden sein. Mehr und mehr
Israelis kommen zur Besinnung, sogar die „Peace Now“-Bewegung,
die den Krieg von Anfang an unterstützte. Die Hauptgefahr kommt
immer noch von den extremen amerikanischen Zionisten, die bereit
sind, von ihren Sesseln aus zu kämpfen bis der letzte Israeli
gefallen ist. Ihre amerikanischen Mitbürger sollten sie abkühlen
und sie zur Besinnung bringen. In Israel schwindet die
Kriegstrunkenheit, aber nicht schnell genug. Die Zerstörung des
Libanons ist unfassbar. Israelischen Reporter vergleichen sie
mit Berlin 1945.
Dutzende von israelischen und libanesischen
Kämpfern und viele israelische und libanesischen Zivilpersonen
sterben gerade jetzt wegen des Versuchs der israelischen
Führerschaft, Punkte zu machen. Die Israelis sterben umsonst, in
den Tod geschickt von ihren Führern.
Die israelische Regierung sollte nicht für ihre
Gemeinheit belohnt werden. Die Libanon-Resolution des
Sicherheitsrates ruft auf zur Entwaffnung von Truppen, die nicht
von der Beiruter Regierung autorisiert sind. Daher sollte die
libanesische Führung die Hisbollah in ihre Staats- und
Armeemaschinerie integrieren und so den zionistischen Plan
unterminieren. Die Libanesen können sich ein Beispiel nehmen an
der Erfahrung von 1948 als die israelischen Terrororganisationen
(Palmach, Haganah, Etzel etc.) in die israelische Armee
eingebunden und integriert wurden. Die Hisbollah hat ihre Macht
bewiesen, ihr Fähigkeit, gegen den Feind zu kämpfen und sich
nicht in die Karten gucken zu lassen. Diese Qualitäten sollten
nicht außer acht gelassen werden.
Dies hatte der maronitische Präsident des
Libanon, Emile Lahoud, gemeint als er die üblichen
zionistischen Klagen westlicher Journalisten in deutlich die
Hisbollah unterstützender Weise beantwortete: „Hisbollah war die
Kraft, die in der Lage war, im Jahr 2000 das Land im Süden zu
befreien. Unsere Armee ist national und der Widerstand ist
national. Wollen sie, dass die nationale Armee den nationalen
Widerstand entwaffnet, der sich mit der Armee ergänzt, ohne
jedoch das gleiche Operationsgebiet zu haben? Auf keinen Fall“.
Eine andere große Errungenschaft der Hisbollah
liegt aber in der Heilung des sunnitisch-schiitischen Streits,
eines Streites, der von der Al Qaeda geschaffen und genährt
wurde. Diese trübe in Afghanistan stationierte Truppe, die von
den USA gegründet worden war, um die Sowjets in den 1980ern zu
bekämpfen, war 2001 in der Mottenkiste als die Politikmacher der
USA sie wiederauferstehen ließ, indem sie die 9/11-Anschläge auf
ihr Konto buchten, obwohl selbst heute, fünf Jahre danach, ihre
Verwicklung darin nicht bewiesen ist. Wer auch immer die
Zwillingstürme und das Pentagon angriff (und wir wissen nicht,
wer es war), zog eine Welle der Sympathie auf sich gemischt mit
Bewunderung unter den leidenschaftlich Enttäuschten der Neuen
Weltordnung von Paris bis Teheran, von Moskau bis Oklahoma. Die
Herren des Diskurses waren besorgt, dass diese große Ernte sich
eine fähige und gefährliche (für sie) Gruppe (nicht
notwendigerweise eine muslimische) aneignen könnte und zogen es
vor, es ihrer zahmen Al Qaeda zuzuschreiben. Seither hat die Al
Qaeda bewiesen, dass sie ein wertvolles amerikanischen Werkzeug
ist: sie taten nichts, was der Erwähnung wert wäre, außer
Touristen auf Video zu enthaupten und pflichtgemäß den Streit
zwischen Sunniten und Schiiten im Irak anzustacheln, Moscheen zu
bombardieren und Pilger zu töten. Sie konnten einige gute und
wagemutige junge Männer auf der Basis ihres 9/11-Guthabens
anziehen – und sie ins Verderben führen.
Der Aufstieg der Hisbollah verdarb dieses
Arrangement. Anstatt gegen muslimische Kameraden zu kämpfen,
bekämpft die Hisbollah das jüdisch-amerikanische Imperium. Da
sie das Gegenteil der Al Qaeda-Schwindelei ist, ist sie eine
reale Sache und sie kämpft einen wirklichen Krieg und hört nie
auf, sich vor einem Fernsehteam aufzubauen. Die jungen und
inspirierten Männer, die sich für einen guten Kampf für eine
gute Sache begeisterten, wendeten sich Nasrallah zu.
Die einsamen Handlanger der Al Qaeda riefen ihre
Anhänger dazu auf, (die Hisbollah) zu bekämpfen, aber umsonst.
Der Streit zwischen Sunniten und Schiiten ebbt ab, und die
sunnitische Mehrheit der arabischen Welt zog Sayed Nasrallah,
der Verteidiger der Unterprivilegierten, den Durchsetzern der
Scharia, Bin Laden und Zarkawi, vor. Der Schießpulver-Anschlag
von Heathrow ist augenscheinlich ein verzweifelter Versuch der
Al Qaeda-Schirmherren den schwindenden Ruhm ihrer Geschöpfe
wieder aufzupolieren indem sie zeigen, dass sie nicht eine
völlig verbrauchte Kraft ist. Diese gute Vorführung der
Hisbollah wird ernste Folgen außerhalb des Libanons haben – sie
wird den Orient gegen das Imperium wiedervereinen.
Übersetzung: Friederike Beck
Jewish Institute for National Security Affairs=Jüdisches
Institut für Nationale Sicherheitsfragen
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