Ausgabe 7/06; 10.2.06, Seite 15
Israels Michael Moore
Nahost: Israel Shamir ergreift Partei für die
Palästinenser
Friedrich Romig
Es gibt wenige Bücher, welche die Tragik des nun
bald sechzigjährigen Krieges in Palästina mit soviel spürbarer
Wärme, historischem Wissen und einprägsamer, bildhafter
Illustration ausleuchten wie die „Blumen aus Galiläa“ von Israel
Shamir. Shamir ist Jude, Russe, orthodoxer Katholik,
Homer-Übersetzer und ein rühriger Schriftsteller zugleich. Und
es wird wohl diese unorthodoxe Mischung sein, die seinem Buch
weltweite Beachtung eingetragen hat, die sich sowohl in
Anerkennung als auch schäumender Kritik äußerte.
Shamir kam 1969 als russischer Immigrant mit 22
Jahren nach Israel und nahm als Fallschirmjäger am
Yom-Kippur-Krieg 1973 teil. Nach seinem Militärdienst ging er
auf höchst unspektakuläre Weise seinem Brotberuf nach. Erst der
Marsch Scharons und seiner Anhänger zur Al-Aksa Moschee im Jahr
2001 löste bei ihm eine Art Damaskuserlebnis aus, das zu einer
anderen Beurteilung des Vorgehens der israelischen Militärs und
Siedler gegen Palästinenser führte. Die lange Liste der
israelischen Unterdrückung von Palästinensern bringt er zur
Sprache: deren Denunzierung als Terroristen, die Vertreibungen,
die Drangsalierung der Flüchtlinge, die gezielten Tötungen ihrer
Führer, die Auslöschung ihrer Familien, die Raketenangriffe auf
die wehrlose Zivilbevölkerung, das Niederwalzen ihrer Häuser,
den Raub des Bauernlandes, die ungerechte Aufteilung der
lebenswichtigen Wasserreservoire, das Ausreißen ihrer Oliven-
und Mandelbäume, die ständigen Schikanen und entwürdigenden
Kontrollen, die Beschränkungen der Bewegungsfreiheit, die
langjährige Inhaftierung ohne Anklage, die Verbannung ganzer
Bevölkerungsteile hinter Stacheldraht, von wo sie die Zerstörung
ihrer Infrastruktur und Verbindungslinien schweigend mit ansehen
müssen.
Shamir sieht im zionistischen Judaismus und
seiner Lehre vom „auserwählten Volk“ den eigentlichen Grund für
die von Israel am laufenden Band verübten menschen- und
völkerrechtlichen Verbrechen. Shamir konvertierte zum
russisch-orthodoxen Christentum und begann in englischer Sprache
zu schreiben, um die „Weltöffentlichkeit aufzuwecken“.
Die kritischen Stimmen, die seiner Argumentation
folgen, würden durch den Vorwurf des Antisemitismus
eingeschüchtert. Diese Kampagne gegen den Antisemitismus, so die
Argumentation von Shamir, sei nichts anderes als eine neue Form
des Rassismus. Er nennt zusammen mit Noam Choms-ky die
Anti-Defamation League, eine der am schärfsten jede Israelkritik
als Antisemitismus anklagende Gruppe, „eine der häßlichsten und
mächtigsten Pressure-Groups in den USA, die ihre dringlichste
Aufgabe darin sehe, jeden Kritiker Israels zu diffamieren und
zum Schweigen zu bringen“. Shamir steigert seine Polemik derart,
daß er Washington, ähnlich wie das Westjordanland, den Irak oder
Afghanistan, sogar zu einem von israelisch-zionistischen
Terroristen besetzten Territorium erklärt. Der von ihm für
diesen Tatbestand verwendete Terminus „ZOG“ („Zionist Occupied
Country“) hat inzwischen auch Eingang in die politische Debatte
in den USA gefunden. Im Hebräischen ist „Zog“ überdies der Fürst
der Finsternis und der Zerstörung: „Zog herrscht in ZOG“.
Shamir ist überzeugt – und damit stimmt er in
Israel höchstens mit den ultraorthodoxen Juden überein –, daß
der Staat Israel als Produkt des Zionismus in Palästina kein
Existenzrecht habe. Solange Israel als Staat existiert, gebe es
im Nahen Osten keinen Frieden. Shamir hängt der idealistischen,
vielleicht sogar naiven Vorstellung an, die ein Zusammenleben
von Juden und Palästinensern in einem gemeinsamen Staat für eine
friedliche Perspektive hält. Doch an Frieden sei „Zog“, der bei
Shamir nicht nur die Maske von Scharon und George W. Bush trägt,
nicht interessiert. Wer über den Michael Moore Israels mitreden
will, kommt an „Blumen aus Galiläa“ nicht vorbei.
Israel Shamir: Blumen aus Galiläa: Schriften
gegen die Zerstörung des Heiligen Landes. Promedia Druck-
und Verlagsanstalt, Wien 2005, 215 Seiten, broschiert, 15,90
Euro
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