(Summer
Fool, Winter Fool)
(Dies
ist ein Essay über die Wahlen von 2001, bei denen die Israelis
Ariel Scharon zum Premierminister wählten)
I
Als ich die
Küstenpromenade in Tel Aviv entlangspazierte, sprach mich ein
geschniegelter blonder Kerl an und forderte mich auf, an einem
Glücksspiel teilzunehmen. Eine bunte Menge aus Touristen und
Leuten aus Afula und Dimona hatte sich um ihn versammelt und sah
zu, wie er mit geschickten Händen, drei Gläsern und einer Kugel
spielte. „Finden Sie die Kugel und Sie gewinnen 100 Dollar!“,
sagte er. Ich lachte nur. Hielt er mich etwa für einen Tölpel?
Kein Grossstadtmensch würde jemals an einem solchen Spiel
teilnehmen, wissend, dass man den Spielleiter niemals schlagen
kann. Der richtige Weg in diesem Spiel ist es, auf seinem Recht
zu bestehen, die Teilnahme zu verweigern.
Ich werde
oft danach gefragt, wie es denn möglich ist, dass die Israelis
Scharon bei den Wahlen den Vorzug gaben und warum 40% der
israelischen Bevölkerung sich ihrer Stimme enthalten haben. Die
Wahl war fingiert. Sie hatte viel Ähnlichkeit mit den
sowjetischen Ein-Partei Wahlen. Gewiss kamen die Russen niemals
auf die brillante Idee ihren Bürgern die Wahl zwischen
Breschniew und Tschernienko zu lassen. Die Bürger Israels
könnten auch auf Buridans Esel neidisch sein. Dieses dumme Tier
aus der mittelalterlichen Allegorie konnte sich nicht zwischen
zwei identischen Heuballen entscheiden. Wir mussten zwischen
zwei gleich unappetitlichen Generälen wählen, alten arabischen
Kämpfern, die das Wort „Frieden“ nur unüberzeugend über die
Lippen brachten. Die Wahl wurde noch trivialer durch ihre
Erklärung, dass sie gleich nach der Wahl eine
Koalitionsregierung bilden würden.
Die Wahl
ging zu Gunsten General Scharons aus, der weltberühmten
Symbolfigur des „grausamen Zionismus“. Sein Name steht in
Verbindung mit den Massenmorden von Qibya, Sabra und Shatila und
der Besetzung Beiruts. Seine „Besichtigung“ von Haram al-Sharif
war der Auslöser für den kürzlichen Ausbruch des Bürgerkriegs in
Palästina. Seine Kriegsverbrechen sind allseits bekannt. Dennoch
möchte ich auch Baraks Haut nicht retten. Die Wahl Scharons hat
auch ein paar Vorteile für die Palästinenser.
II
Man kann
die Wahlen als einen weiteren Punkt auf der endlosen Liste von
Schwindeln ansehen, die Israel quälen. Es gehört zu der guter
Cop / böser Cop Taktik, die auf die Palästinenser angewendet
wird. Die Labour und Likud Partei spielen nur
einen denkwürdigen Dialog aus dem amerikanischen Roman Moby
Dick nach. Als Ishmael, der Held aus Melvilles Geschichte,
einen Platz auf einem Walfänger sucht, bietet ihm Bildad, der
Skipper, einen Hungerlohn, während sein Partner Kapitän Peleg
darauf sichtbar zornig reagiert. „Der Teufel soll Dich holen
Bildad, Du willst doch diesen jungen Mann nicht übers Ohr hauen!
Du musst ihm schon mehr als das bezahlen!“ und dann bietet er
ihm viel weniger, als Ishmael von Rechts wegen erwarten könnte.
Nun, im richtigen Leben wird Ishmael erst gar nicht gefragt, er
muss sich einfach damit abfinden.
Dennoch bin
ich der erste, der zugesteht, dass die beiden Kandidaten doch
unterschiedlich sind. Es gibt einen jüdischen Witz über zwei
Arten von Narren, den Sommer und den Winter Narr. Sobald der
Sommer Narr auftaucht, erkennt man ihn sofort als Narren. Sobald
der Winter Narr auftaucht, legt er seinen dicken Mantel ab,
schüttelt den Schnee von seinem Pelzhut und erst dann bemerkt
man, dass auch er ein Narr ist. Barak ist ein Winter Narr. Bis
auch er zu schiessen begann, konnte man noch einigen Illusionen
ihn betreffend nachhängen. Scharon ist ein Sommer Narr. Man
erkennt seine Persönlichkeit sofort. Der Vorteil, wenn man es
mit einem solchen Mann zu tun hat, ist folgender: Sein
Friedensgegurre wird niemanden überzeugen.
Barak
erinnert mich an meine verstorbene altjungferliche Tante Ethel.
Sie lehnte jeden Freier ab, nachdem sie sie an der Nase
herumgeführt und ihnen Hoffnungen gemacht hatte. Jahrelang
hofften wir, dass sie endlich das Richtige tun und heiraten
würde. Oder sich zumindest einen Liebhaber nehmen würde, um
jahrzehntelange Einsamkeit zu kompensieren. Doch sie konnte es
nicht. Wir hatten Mitleid mit ihrem jeweiligen aktuellen
Verehrer, als wir ihn niedergeschlagen nach Hause gehen sahen.
Er hätte es besser wissen müssen: Tante Ethel würde niemals ja
sagen, auch wenn sie es gewollt hätte, denn sie hatte Angst vor
Männern.
Ehud Barak
war für seine leeren Versprechungen bekannt. Er hat tatsächlich
kein einziges Versprechen an die Palästinenser gehalten (oder an
sonst irgendjemanden, vor allem an die russischen Israelis). Zum
Beispiel hatte seine Regierung entschieden, die Dörfer Anata und
Abu Dis zu befreien. Einige Tage später fand er einen Grund, um
die Militärherrschaft aufrechtzuerhalten. In einem Interview,
das er der Zeitung Vesti letzte Woche gab, sollte er
seine Haupterrungenschaft nennen. Barak antwortete darauf: „Ich
habe der Welt das wahre Gesicht von Yasser Arafat gezeigt“. Wir
brauchen keinen Premierminister für diese Aufgabe. Barak änderte
seine Meinung zweimal am Tag, er sandte Delegationen aus und
rief sie wieder zurück. Er war unzuverlässig. Er versprach der
russischen Gemeinde das religiöse Diktat aufzuheben und kam dem
Versprechen nicht nach. Amerikanisch gesagt würden Sie von ihm
kein neues Auto kaufen und schon gar nicht ein gebrauchtes.
Noch
schlimmer, Barak mag keine Palästinenser. Dieser arrogante und
unsympathische Mann weigerte sich, die palästinensischen Bürger
Israels, die ihn gewählt hatten, in die Regierung aufzunehmen.
Persönlich fällt es mir leichter, mir Scharon vorzustellen, wie
er im Kreise von palästinensischen Freunden Hummus isst, als mir
Barak vorzustellen, der einen palästinensischen Gärtner
einstellt. Er würde wahrscheinlich einen Thai vorziehen. Scharon
steht mit seiner Liste an begangenen Kriegsverbrechen nicht
alleine da. Baraks lange Liste an Ermordungen würde ihn in Den
Haag auch nicht gerade gut aussehen lassen. Es ist unser
Schicksal mit Kriegsverbrechern leben zu müssen. Ein gerechter
Gerichtshof würde nicht nur Scharon und Barak verurteilen,
sondern auch diejenigen, die gegen das irakische Volk Sanktionen
verhängt haben und die für das Bombardieren Serbiens
verantwortlich sind. Die Mörder von drei Millionen Vietnamesen
bewegen sich immer noch in Freiheit und sitzen wahrscheinlich
auf dem Kapitolshügel.
Viele
Israelis aus Scharons Generation kämpften hartnäckig gegen die
Araber. Doch sie sahen Palästinenser nicht als Untermenschen an,
die man einsperren oder vernichten sollte.
III
Wie so
viele meiner israelischen Zeitgenossen habe auch ich in der
Armee gedient. Ich erinner mich an den Geruch von Kordit, an die
Flucht im Jeep in der Wüste, an den grünen Himmel, den man in
den Nachtsichtgeräten sieht, an das Kreischen der Schrapnells,
an die Überfahrt des Suez, Doppelzelte, die Waffenbruderschaft.
Als junger Soldat in einer Eliteeinheit war ich stolz auf meine
roten Stiefel und das Fallschirmjägerabzeichen. Ich hörte mit
sehnsüchtigem Herzen den Geschichten über die mutigen Taten Arik
Scharons und Meir Har Zions zu. (Das war natürlich vor Sabra und
Shatila). Ich schäme mich nicht dafür, dass ich sie bewundere,
wie ich auch den Mut der Karame Kämpfer bewundere und die
waghalsige Leila Khaled. Soldaten verstehen andere Soldaten.
Zusammen bilden wir Palästina.
Die Wahlen
bewiesen, dass die Mehrheit der Israelis, auch diejenigen, die
nicht zur Wahl gingen, mit Baraks Trennung nicht einverstanden
sind, ganz egal ob die Trennung hebräisch als Hafrada oder auf
Afrikaans Apartheid genannt wird. Die Mehrheit will nicht, dass
das Land wieder geteilt wird und daher kam diese Idee nicht
durch. Niemand in unserem Land, der unter 40 ist, erinnert sich
an die Existenz des abgetrennten „Klein Israel“. Wir müssen
vorwärts schreiten und nicht zurück. Vor uns liegt der Weg der
Normalisierung und nicht der Trennung.
Wenn das
wunderschöne grüne Palästina vereint ist, dann werden alle seine
Gemeinden ihre besten Errungenschaften einbringen um dieses
spezielle Land mit vereinten Kräften zum schönsten Ort auf der
Erde zu machen, so wie es auch sein sollte. Die Palästinenser
tragen ihr Wissen um die Aufzucht von Olivenbäumen und die
Wartung von Quellen bei, ihre bodenständige Liebe zum Land und
den ungebrochenen Geist der Intifada. Unser israelischer
Beitrag wird sicher nicht Einsteins Theorien oder die Zauberei
der Wall Street einschliessen, da wir sie sowieso nicht
verstehen, sondern die militärischen Errungenschaften, die dem
Ruhm der Kreuzritter gleichzusetzen sind. In Palästina brauchen
wir keinen Frieden. Wir brauchen keine Teilung, auch nicht zu
den besten Bedingungen. Wir brauchen Liebe und Mitgefühl und ein
gemeinsames Leben. Diese Lösung beendete Maorikriege in
Neuseeland und sie würde auch hier funktionieren. Wir brauchen
keinen de Gaulle als Premierminister. Wir brauchen einen
de Klerk.
Die
israelische Unterdrückung der Palästinenser von 1947 bis heute
war nur möglich durch die Unterstützung von aussen von Israels
schlecht beratenen Alliierten. Scharons grausige Vergangenheit
macht die unbegrenzte Unterstützung der amerikanischen Juden
weniger wahrscheinlich und weniger sicher. Die Anwesenheit
aufmerksamer internationaler Beobachter, die Möglichkeit eines
Eingreifens von Seiten der Vereinten Nationen ungehindert von
einem amerikanischen Veto und die drohende Präsenz eines
wiederauferstandenen Irak wird Scharons Geist beherrschen. Er
ist nicht der friedensbringende Messias auf dem weissen Hengst,
doch er ist nicht schlimmer als Barak.
Als Militär
sollte man Scharon die Wahl lassen: die Vereinigung des Landes
auf der Basis „ein Mann, eine Stimme“ und volle Rechte für alle
Bewohner des Landes, oder der internationale Gerichtshof von Den
Haag.
[Ich
habe mich da etwas geirrt: die Unterstützung der amerikanischen
Juden für Scharon war enthusiastisch und die Bush Administration
stand ihm ununterbrochen zur Seite. Die amerikanischen Juden
waren viel stärker und fieser, als ich dachte. Dennoch versuchte
ich eine Zeit lang, ihnen ins Gewissen zu reden.]
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